Ethik in der Abfallwirtschaft – eine contradictio in obiecto?


Dr. jur. utr. Jochen Hofmann-Hoeppel,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Zusammenfassung

So befremdlich es klingen mag: die Nikomachische Ethik des Aristoteles (387 v. Chr. – 322 v. Chr.) mit ihrer grundlegenden Differenzierung nach „verstandesmäßigen“ und „ethischen“ Tugenden, erstere entstehend durch „Belehrung“, letztere sich ergebend aus „Gewohnheit“, hat wie „Moral“ als Bestand von Werten und Wertvorstellungen auch im 21. Jahrhundert Relevanz für den homo oeconomicus aller Wirtschaftszweige im Allgemeinen wie der Abfallwirtschaft im Besonderen. Der republikanische Verfassungsstaat als „durch Freiheit legitimierte und limitierte, am Gemeinwohl orientierte Ordnung mit einem institutionalisierten, nach dem Prinzip des Amts organisierten öffentlichen Dienst“ (Gröschner) lebt ebenso wie wirtschaftliche Betätigung von Voraussetzungen, die er bzw. sie nicht selbst garantieren kann (Böckenförde). Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger wie Verpflichtete des Privatrechts haben angesichts des Paradigmenwechsels von der Abfallentsorgung zur Kreislaufwirtschaft vor dem Hintergrund des Gebots nach „sustainable development“ und Generationengerechtigkeit wie der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG die Verpflichtung, sich ihrer Funktion als Staatsbürger (citoyen) bewusst zu werden, d.h. nicht nur als Wirtschaftsakteure (bourgeois) zu handeln. In Vollzug des Normenbestandes des Umweltrechts ist daher Ethik als Rechtfertigung wie kritische Hinterfragung des Bestands von Werten und Wertvorstellungen unabdingbar.

1.    Der Arbeitskreis „Ethik in der Abfallwirtschaft“ in der DGAW e. V.

Dem Arbeitskreis „Ethik in der Abfallwirtschaft“ war in institutioneller Hinsicht ein ebenso fulminanter Start wie ein abruptes Ende gleichermaßen beschieden. Der Einladung zur Gründungsversammlung waren unter Vorsitz des damaligen Ersten Direktors und Professors des UBA, Prof. Werner Schenkel, ca. 5 Mitglieder der DGAW e. V. gefolgt – Prof. Altner als Gründer des Öko-Instituts, Peter Engel von der AGR mbH, Dr. Gosten, Berliner Stadtreinigung, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Jochen Hofmann-Hoeppel, Dr. Ing. Andreas Mönnig, Geschäftsführer der DGAW e. V. sowie Frau Dr. Ellen Walther-Klaus, Vorsitzende des Vorstands der Bellheim-Gesellschaft.   
Im Rahmen der Diskussion über Modalitäten wie deren Umsetzung war Konsens dahingehend erzielt worden,

  • die bislang erfolgte Fokussierung auf technische wie ausschließlich rechtliche Problemaspekte zu überwinden,
  • der Notwendigkeit einer Überführung des „Abfallwirtschaftsrechts“ in ein „Ressourcenrecht“ Rechnung zu tragen,    
  • in der Diskussion über ethische Grundsätze wie moralische Handlungsprinzipien den Gedanken der Nachhaltigkeit stärker zu betonen,    
  • im Interesse einer Effektivierung der herauszuarbeitenden Prinzipien „ethischer Abfallwirtschaft“ insbesondere nach Win-Win-Konstellationen zu fragen,    
  • keine Ethik der „end-of-pipe – Diskussion“ zu betreiben, sondern die Produktionssphäre mit einzubeziehen,    
  • nach grundsätzlicher philosophischer wie (rechts-)historischer und rechtswissenschaftlicher Versicherung allgemein ethischer Grundsätze wie moralischer Handlungsprinzipien die Relevanz einer „Ethik in der Abfallwirtschaft“ angesichts der Betonung des Pflichtenvorrangs privater Abfallerzeuger und –besitzer durch das KrW-/AbfG (a. F.) herauszuarbeiten.   

Auf Vorschlag von Prof. Schenkel wurde Dr. Hofmann-Hoeppel zum Vorsitzenden der neu gegründeten Arbeitsgruppe gewählt.

Grundlage der Diskussion der 1. Sitzung vom 02.11.2008 war das durch Peter Engels, AGR mbH, vorbereitete Diskussionspapier über „Ethik in der Abfallwirtschaft“:

  • Ausgehend von der These Engels, Recht sei „gefrorene Ethik“ im Sinne der Normierung von Mindeststandards, wurde auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung unterschiedlicher „Mentalitäten“ und Modernisierungsschübe hingewiesen, wobei gleichzeitig die Frage nach erforderlichen wie hinderlichen Akteuren im Prozess der Normierung ethischer Mindeststandards gestellt und beantwortet werden müsse;   
  • angesichts der Erkenntnis, dass Abfallwirtschaft wesentlicher Teil der europäischen Ressourcenstrategie im Sinne einer durch den SRU geforderten stoffbezogenen Umweltpolitik sei, müsse der in anderen gesellschaftlichen Bereichen – vornehmlich der Finanz- und Wirtschaftspolitik – seit September 2008 zu gewinnenden Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass das neoliberale Deregulationsmodell gescheitert sei, sodass der Markt als Allokationsprinzip im „freien Spiel der Kräfte“ eines (nationalen wie internationalen) Ordnungsrahmens bedürfe;   
  • auszugehen sei weiterhin von der Erkenntnis, dass Ethik eine unverzichtbare Komponente für die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft sei; nationale „Bereichsethiken“ seien z. T. sehr rasch mit religiösen Grundsätzen bzw. Glaubensrichtungen in Konflikt geraten, sodass von einer religiösen bzw. weltanschaulichen „Aufladung“ einer für die Abfallwirtschaft herauszuarbeitenden Bereichsethik Abstand zu nehmen sei; verstärkt gelte dies im Hinblick auf die Notwendigkeit, im europäischen wie internationalen Rahmen ethische Normen im Bereich der Abfallwirtschaft verbindlich zu postulieren; auseinanderzusetzen habe man sich auch mit gegenläufigen Thesen, die – im allgemeinsten Sinne – Umweltaktivisten für neue und „verderbliche“ Religionsstifter hielten, so wie dies etwa durch Bolz (in: Chrismon Nr. 11/2008, S. 34 f.) dadurch zum Ausdruck gebracht werde, dass die „Dialektik von Heilsversprechen und Elendspropaganda“ zugleich Hysterie und Hoffnung produzierte, also eine „Angstreligion“ als „neuen Glauben für die gebildete Mittelklasse“ repräsentierte, in der „Technikfeindlichkeit, Antikapitalismus und Aktionismus“ untergebracht werden könnten.

Der Einladung vom 14.05.2009 für die 2. Sitzung des Arbeitskreises am 20.06.2009 in der Geschäftsstelle der DGAW e. V. waren bereits nur Prof. Schenkel und Dr. Hofmann-Hoeppel gefolgt, sodass diese überein kamen, die Problematik der mangelnden Beteiligung auf der Vorstandssitzung vom 27.10.2009 anzusprechen. Nennenswerter Erfolg war dem nicht beschieden, sodass der Arbeitskreis de facto zum Erliegen kam. Letzteres hatte zur Folge, dass die durch Dr. Hofmann-Hoeppel vorbereitete Agenda zum etymologischen und dogmatischen Verhältnis von „Ethik und Moral“ unter den Prämissen des republikanischen Verfassungsstaats im Allgemeinen, zum imperativen Pflichtenkreis von „Abfallbesitzer“ und „Abfallwirtschaftler“ im öffentlich-rechtlichen Rechte- und Pflichtensystem nach KrW-/AbfG (a. F.), Deponieverordnung, Abfallablagerungs- und Gewerbeabfallverordnung in extenso nicht mehr diskutiert wurden.   

2.    „Ethik“ und „Moral“ unter den Prämissen des republikanischen Verfassungsstaats

2.1    „Ethik / Ethos“ als gesamthafter polisbezogener Ansatz, „Moral“ als Instrumentarium
für das gelingende Leben des zoon politicon   

Jede Ethik, die diesen Namen verdient, erhält Bedeutung und imperatives Gewicht dadurch, dass ihre (Sollens-)Sätze dem zuwiderlaufen, was der Mensch als Gattungswesen seiner „Neigung“, d.h. gemäß seinen „natürlichen“ Trieben und Bedürfnissen nach tun möchte. Bereits in der Nikomachischen Ethik des Platonschülers Aristoteles ist Zentralbegriff die Tugend, die als „von doppelter Art, verstandesmäßig und ethisch“ definiert wird, wobei Erstere durch „Belehrung“ entstehe und wachse, somit der Erfahrung und der Zeit bedürfe, Letztere sich hingegen aus „Gewohnheit“ ergebe. „Ethos“ bedeutet daher ursprünglich „Gewöhnung“; keine der ethischen Tugenden sei daher dem Menschen „von Natur“ gegeben, da sie „in uns also weder von Natur noch gegen die Natur“ entstehen. Sie würden erworben, „indem wir sie zuvor ausüben, wie dies auch für die sonstigen Fertigkeiten gilt“; daher müsse man die Tätigkeiten „in bestimmter Weise formen“ (Gigon (Hrsg.), Aristoteles, Nikomachische Ethik II 1, 1103a). Bezugspunkt der Tugendlehre ist die „politische Wissenschaft“, als deren Teil sie zu gelten hat (Nikomachische Ethik I 1, 1094b), die bestimmt, „welche Wissenschaften in den Staaten vorhanden sein müssen, welche ein jeder lernen muss und bis zu welchem Grade man sie lernen muss“ (Nikomachische Ethik I 1, 1094a). Tugendlehre und „Ethos“ sind daher auf die Polis, also die „staatlich“ verfasste Ordnung der als zoon politicon verstandenen Menschen ausgerichtet (Aristoteles, Politik, I 2, 1253a).

Dieses Verständnis gestattet die Abgrenzung von dem einem vergleichbaren Bedeutungshorizont verhafteten Begriff der „Moral“: Das lateinische Wort „mos (mores)“ ist im Deutschen als „Sitte, Gewohnheit, Gebrauch“ zu übersetzen, kennzeichnet also das „Instrumentarium“ für das gute, gelingende, gerechte, richtige Leben des einzelnen Menschen. In allgemeinster Distinktion könnte man daher Moral als Bestand von Werten und Wertvorstellungen, Ethik hingegen als Rechtfertigung wie kritische Hinterfragung dieses Bestands von Werten und Wertvorstellungen definieren (vgl. hierzu auch Gröschner / Lembcke, Ethik und Recht, in: Einführung in die angewandte Ethik, 2006, S. 47 ff.).

2.2    Ethik, Recht und (republikanischer) Verfassungsstaat   

Es ist hier nicht der Ort, auf die Ausbildung des modernen, d.h. republikanischen Verfassungsstaats von der die mittelalterliche Vorstellung vom corpus politicum überwindenden Lehre Luthers zu Beginn des 16. Jahrhunderts von den beiden „Regimentern“, dem weltlichen wie dem geistlichen, sowie der damit verbundenen Kreierung des Amtsbegriffs und der Herrschaft der Vernunft über alles Recht (Luther, Von weltlicher Obrigkeit 1523, in: Luthers Werke, Weimarer Ausgabe 11, 272) über die vornehmlich naturrechtlich konturierten Theorien des Gesellschaftsvertrags britischer Prägung in Gestalt etwa von John Lockes „Two Treatises of Government“ (vgl. Laslett, John Locke, Two Treatises of Government, 1967; Mc Pherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis Locke, 1967) mit der Konzeption von „reason“ als „law of nature“ zu den Ereignissen der Französischen Revolution des Jahres 1789 nachzuzeichnen, bezüglich der Hegel im September 1806 sein Kolleg über spekulative Philosophie mit den Worten beendete: „Wir stehen in einer wichtigen Zeitepoche, einer Gärung, wo der Geist einen Ruck getan, über seine vorige Gestalt hinausgekommen ist und eine neue gewinnt. ... Es bereitet sich ein neuer Hervorgang des Geistes“ (zitiert nach Hofmeister, Dokumente zu Hegels Entwicklung, 1936, 352). Was kann Hegel mit diesen Worten im Hinblick auf den Sturm auf die Bastille vom Juli 1789, die „Déclaration de droits de l’homme“ vom August 1789 sowie die Verfassung von 1793 als die „Déclaration de droits de l’homme et du citoyen“ gemeint haben? Nichts weniger als das, was Lorenz von Stein im Jahre 1848 mit den Worten ausgedrückt hat: „Der Begriff und das Recht des Staatsbürgertums war das Resultat der Kämpfe, die als erste Taufzeugen an der Wiege unseres Jahrhunderts gestanden haben“ (Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich, 1848). Der Staat des Citoyen der Verfassung von 1793 ist daher die sich selbst regierende Freiheit der Staatsbürger als das „vollendete Subjekt“, das seine Vernunft als Grund staatlicher Herrschaft anerkennt. Konstitutionsprinzip dieses Verfassungsstaates ist die Republik (Freistaat) als eine „durch Freiheit legitimierte und limitierte, am Gemeinwohl orientierte Ordnung mit einem institutionalisierten, nach dem Prinzip des Amtes organisierten öffentlichen Dienst“ (Gröschner / Lembcke, Ethik und Recht. Grundlegung einer republikanischen Verfassungsstaatslehre, in: Einführung in die angewandte Ethik, 2006, S. 47 ff., S. 56). Die Präsenz des Verfassungsstaats als Republik vollzieht sich jedoch nicht nur im Amtsprinzip, sondern bedarf – nach dem Rousseau’schen Motto „les citoyens font la cité“ (Vom Gesellschaftsvertrag I 6) – der tätigen Mitwirkung des Staatsbürgers. Böckenförde hat dies durch das bekannte Diktum zum Ausdruck gebracht, wonach der moderne freiheitliche Staat „von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, ohne seine Freiheitlichkeit in Frage zu stellen“ (Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 1978, S. 37; ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 112). Amtsprinzip wie Lebenswirklichkeit des Staatsbürgers als Citoyen bedürfen also des Ethos im Sinne der aristotelischen Differenzierung nach „verstandesmäßigen“ und „ethischen“ Tugenden (Aristoteles, Nikomachische Ethik, I 1, 1102b). Amtswalter wie Staatsbürger als Citoyens wirken daher nicht nur auf der Grundlage des normativen Imperativs als Sollenssatz kraft Gesetzesbefehls, sondern auch – und nicht zuletzt – kraft ethischer Reflexion, moralischer Standards und republikanischer Vernunft.    

3.    Ethik in der Abfallwirtschaft angesichts des abfallrechtlichen Paradigmenwechsels vor dem Hintergrund von „sustainable development“ und Generationengerechtigkeit

3.1    „Quasi-Verwaltungsmonopol“ der Abfallentsorgung durch AbfG 1986   

Das nach drei Novellen zum AbfG 1972 in den Jahren 1976 (BGBl 1976 I, S. 1601), 1982 (BGBl 1983 I, S. 281) und 1985 (BGBl 1985 I, S. 204) am 01.11.1986 in Kraft getretene „Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (AbfallG – AbfG) entwickelte zwar das bisherige Abfallbeseitigungsgesetz zu einem Abfallwirtschaftsgesetz dadurch fort, dass der Abfallvermeidung Priorität vor Abfallverwertung und Abfallbeseitigung eingeräumt wurde mit der Folge, dass der Rechtsbegriff der „Entsorgung“ (§ 1 Abs. 2 AbfG 1986) sowohl die Abfallverwertung als auch das Ablagern von Abfällen einschließlich der hierfür erforderlichen Maßnahmen des Einsammelns, Beförderns, Behandelns und Lagerns umfasste. Ungeachtet dessen war das AbfG 1986 weiterhin durch das „Quasi-Verwaltungsmonopol“ als Ordnungsmodell gekennzeichnet, das die Abfallentsorgung dem Grundsatze nach zu einer öffentlich wahrzunehmenden Aufgabe der „Daseinsvorsorge“ mit der Konsequenz der Zulässigkeit einer Anordnung des landesrechtlich geregelten Anschluss- und Benutzungszwangs als Regelsystem konstituierte. Zwar konnten sich die entsorgungspflichtigen Körperschaften des Öffentlichen Rechts gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 AbfG 1986 zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten Dritter bedienen; diese wurden allerdings nur als „Verwaltungshelfer“ der weiterhin kraft öffentlichen Rechts verpflichteten entsorgungspflichtigen Körperschaften in die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung eingeschaltet (vgl. Hofmann-Hoeppel, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, in: Eiding / Hofmann-Hoeppel, Verwaltungsrecht, 2013, § 47, Rzn. 1 ff., S. 1813 ff.).   

3.2    Privatisierung von Erfassung und stofflicher Verwertung durch die Verpackungsverordnung

Die Verpackungsverordnung des Jahres 1991 (BGBl 1991 I, S. 1234) schränkte das „Quasi-Verwaltungsmonopol“ des AbfG 1986 zugunsten einer Privatisierung der Erfassung und stofflichen Verwertung wesentlicher Verpackungsmaterialien „außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung“ (§ 6 Abs. 2 Satz 1 VerpackV 1991) erheblich ein mit der Folge, dass der Sektor privatwirtschaftlicher Entsorgungstätigkeit in signifikanter Weise dadurch erweitert wurde, dass das Verwaltungsmonopol öffentlich-rechtlicher Entsorgung für gebrauchte Verkaufsverpackungen – Transport-, Verkaufs- und Umverpackungen (§ 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 VerpackV 1991) – ausdrücklich aufgegeben wurde. Verpflichtete Rechtssubjekte waren Hersteller (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 VerpackV 1991) sowie Vertreiber (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VerpackV 1991) inklusive des Versandhandels (§ 2 Abs. 2 VerpackV 1991). „Herzstück“ war die in § 6 Abs. 3 VerpackV 1991 getroffene Regelung als Grundlage des Dualen Systems, wonach die Verpflichtungen zur kostenlosen Rücknahme gebrauchter Verkaufsverpackungen entfielen, wenn sich Hersteller und Vertreiber an einem „flächendeckenden“ System beteiligten, das eine regelmäßige Abholung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim Endverbraucher oder in dessen Nähe in ausreichender Weise gewährleistete und die im Anhang zur VerpackV 1991 genannten Anforderungen erfüllte (vgl. hierzu Hofmann-Hoeppel, DVBl 1993, 873 ff.; Weidemann, DVBl 1992, 1568 ff.). Die auf der Grundlage des KrW-/AbfG 1994 erlassene VerpackV vom 27.08.1998 (BGBl I, S. 2379) – in der Fassung der 4. Änderungsverordnung vom 30.12.2005 (BGBl 2005, I, S. 2) – behielt Systematik wie Regelungsgefüge der VerpackV 1991 im Wesentlichen bei mit der Folge, dass sich im Verhältnis öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger zu den über eine „Feststellung“ im Sinne des § 6 Abs. 3 VerpackV verfügenden Erfassungs- und Verwertungssystemen für gebrauchte Verkaufsverpackungen nach der Rechtsprechung ein Unterlassungsanspruch gegenüber Bemühungen öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger ergab, konkurrierende Einrichtungen zur getrennten Erfassung von Verpackungsabfällen beim Endverbraucher zu errichten bzw. sich an einem nicht mit einem Feststellungsbescheid ausgestatteten Erfassungs- und Verwertungssystem zu beteiligen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 20.08.1999, 8 T G 3140/98, NVwZ 2000, 92 ff.; Urteil vom 16.07.2003, 6 U E 3127/01; Hofmann-Hoeppel, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, in: Eiding / Hofmann-Hoeppel, Verwaltungsrecht, 2013, § 47, Rz. 12, S. 1817 ff.).    

3.3    Akzentuierung dualer Abfall- und Entsorgungswirtschaft durch das KrW-/AbfG 1994

Das „Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen“ (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz – KrW-/AbfG) verdankte seine Entstehung einerseits der Notwendigkeit einer Anpassung des deutschen Abfallwirtschaftsrechts an die europarechtlichen Vorgaben vornehmlich im Hinblick auf den Abfallbegriff, andererseits den seit Ende der 80er Jahre an Bedeutung gewinnenden Diskussionen über die Deregulierung staatlicher Aufgaben zur Herbeiführung des „schlanken Staates“ und zur Erhaltung des „Wirtschaftsstandorts Deutschlands“. Aus dem Zusammenspiel der in § 4 KrW-/AbfG normierten Grundsätze der Kreislaufwirtschaft mit den in § 5 KrW-/AbfG normierten Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft wurde das nach dem AbfG 1986 bestehende „Quasi-Verwaltungsmonopol“ durch eine grundsätzlich private Entsorgungsverantwortung abgelöst. Durch diesen Paradigmenwechsel sollten insbesondere durch Statuierung wie Sicherung der Rücknahmepflichten von Herstellern und Vertreibern (§ 24 KrW-/AbfG) durch Aufbau eines entsprechenden Entsorgungsdrucks eine Steigerung sowohl der Quantität der Abfallvermeidung wie der Qualität der Abfallverwertung erreicht werden, wobei als Instrument der Selbstkontrolle und –motivation Abfallwirtschaftskonzepte und –bilanzen (§§ 18, 19 KrW-/AbfG) eingeführt wurden. Die Überwachungstätigkeit hinsichtlich der Vermeidung nach Maßgabe der aufgrund §§ 23 und 24 KrW-/AbfG erlassenen Rechtsverordnung sowie bzgl. der Verwertung und Beseitigung von Abfällen (§ 40 Abs. 1 KrW-/AbfG) durch Auskunfts-, Register- wie Nachweispflichten (§ 40 Abse. 2 und 4, §§ 42, 43 KrW-/AbfG) wurden dadurch verschärft, dass die Genehmigungsbedürftigkeit der gewerblichen Einsammlung oder Beförderung von Abfällen zur Beseitigung (§ 49 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG) auch auf gewerbsmäßige Vermittlungsgeschäfte hinsichtlich der Verbringung von Abfällen erstreckt wurde (§ 50 KrW-/AbfG), wobei zertifizierte Entsorgungsbetriebe im Sinne des § 52 KrW-/AbfG von diesen Verpflichtungen befreit, also privilegiert wurden (§ 51 KrW-/AbfG).   
Durch die in den §§ 16 – 18 KrW-/AbfG getroffenen Regelungen wurden die nach dem AbfG 1986 bestehenden „Privatisierungsmöglichkeiten“ wesentlich erweitert, da die durch §§ 17 und 18 KrW-/AbfG geschaffenen Beleihungstatbestände ebenso wie die Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG deutlich mehr als eine „Einschaltung Dritter“ darstellten (vgl. Hofmann-Hoeppel, in: Schimmelpfeng / Gessenich, Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 1997, S. 81 ff.).    

3.4    Das Kreislaufwirtschaftsgesetz 2012   

Zentrale Aspekte des am 01.06.2012 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschaftsgesetzes (BGBl I, S. 212) waren neben der europarechtlich erforderlich gewordenen Harmonisierung u.a. hinsichtlich der Rechtsbegriffe „Abfall“ und „Nebenprodukt“ die Einführung einer 5-stufigen Abfallhierarchie (§ 6 Abs. 1 Nrn. 1 – 5 KrWG) mit der Rangfolge Vermeidung – Vorbereitung zur Wiederverwendung – Recycling – sonstige Verwertung (energetische Verwertung / Verfüllung) – Beseitigung sowie einer 3-stufigen Verwertungshierarchie (§ 6 Abs. 1 Nrn. 2 – 4 KrWG), die Ausweitung der Produktverantwortung (§§ 23 – 27 KrWG), die Erweiterung der Möglichkeiten der Abfallwirtschaftsplanung (§ 30 Abs. 6 Nrn. 1 – 5, Abs. 7 Nrn. 1 – 4 KrWG), die Modifikation des Verhältnisses von öffentlich- und privatrechtlicher Entsorgung (§ 22 KrWG), die Bestätigung landesrechtlicher Überlassungs-, Andienungs- und Zuführungspflichten insbesondere für Abfälle „aus anderen Herkunftsbereichen“ als privaten Haushaltungen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KrWG) sowie die Präzisierung der Voraussetzungen für die Zulassung gewerblicher Sammlungen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 KrWG; vgl. hierzu Schoch, in: Umwelt und Planung. Anwalt im Dienst von Rechtsstaat und Demokratie, Festschrift für Klaus-Peter Dolde zum 70. Geburtstag, 2014, S. 291 ff.). Auch die für die Zertifizierung wie für die Anforderung an Entsorgungsfachbetriebe geltenden Maßgaben (§§ 56 und 57 KrWG) wurden im Vergleich zu § 52 KrW-/AbfG wesentlich detaillierter ausgestaltet.   

3.5    Pflichtenumfang öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger wie Privater als Konkretisierung von Nachhaltigkeitsprinzip und Staatszielbestimmung gemäß Art. 20a GG

Amtliche Verlautbarungen wie Publikationen zu dem erstmals durch die Brundtland-Kommission im Jahre 1987 geprägten Terminus des sustainable development als Prinzip der Nachhaltigkeit sind Legion; der Terminus sustainable development als „development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ fokussiert Überlegungen, die den Aspekt „Ökologie und Ethik“ (so der gleichnamige Titel der von Birnbacher 1980 herausgegebenen Sammeldokumentation) ebenso fortführten wie den Gedanken der „Verantwortung für zukünftige Generationen“ – so der wiederum durch Birnbacher 1988 herausgegebene Sammelband – weiterentwickelten. Ott (Nachhaltigkeit, in: Gröschner / Kapust / Lembcke, Wörterbuch der Würde, 2013, S. 377 ff.) ist zuzustimmen, dass die Erfolgsgeschichte dieses Begriffs ungeachtet der Tatsache, dass er seit dem Rio-Gipfel im Jahre 1992 Eingang in zahllose Dokumente fand, eine „wachsende Inflationierung und Profillosigkeit“ zeitigte, dies nicht zuletzt dadurch, dass sich im politischen System – zunächst – das sog. Drei-Säulen-Modell durchsetzte, niedergelegt in der Enquete-Kommission 1998 („Schutz des Menschen und der Umwelt“), bestehend aus einer Integration ökonomischer, ökologischer und sozialer Belange. Nachdem der Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits im Jahre 2002 (SRU 2002, 67 f.) dieses Modell als Grundlage einer theoretischen Konzeption von Nachhaltigkeit zu Recht für ungeeignet erachtet hatte, wird gegenwärtig die constant natural capital rule (CNCR) favorisiert, basierend auf der Erkenntnis, natürliche Ressourcen wie die Medien Wasser, Boden, Luft unabhängig davon zu erhalten, wie sich andere „Kapitalbestände“, also insbesondere die ökonomische Entwicklung, gestalteten.

In dieser Ausgestaltung ist das Nachhaltigkeitsprinzip dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wie der in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung immanenten Zukunfts- / Generationenverantwortlichkeit verhaftet (zur Entstehungsgeschichte vgl. Schulze / Fielitz, Art. 20a, in: Dreier, Grundgesetzkommentar, Band II, 2. Aufl. 2006, Rzn. 4 ff.). Ungeachtet der – nach wie vor anhaltenden – Diskussion über Reichweite, Intensität und rechtliche Funktionsweise von Staatszielbestimmungen allgemein, von Art. 20a GG im Besonderen (vgl. hierzu Rehbinder, Nachhaltigkeit als Prinzip des Umweltrechts: Konzeptionelle Fragen, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 721 ff.) ist unstreitig, dass die „natürlichen Lebensgrundlagen“ – neben den Tieren als Regelungsgegenstand des Art. 20a GG – alle Umweltgüter erfassen, die funktional Grundlage menschlichen Lebens sind, also neben Bodenschätzen insbesondere die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden, Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen in ihren Lebensräumen, Klima, die Atmosphäre mit Ozonschicht, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, die gesamte Pflanzen- und Tierwelt sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft (vgl. BVerwGE 104,68 ff., 76). Auch die durch den Menschen gestaltete „natürliche“ Umwelt gehört in dieser Form zu den natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere die Kulturlandschaft wie die durch Zuchterfolge gewonnenen Pflanzen- und Tierarten.

Es ist nicht zu verkennen, dass zentrale Maßgaben des Kreislaufwirtschafts- (und Abfall-)Rechts über

  • den Pflichtenumfang der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (§ 20 KrWG),
  • Überlassungspflichten für alle Abfälle aus privaten Haushaltungen sowie anderen Herkunftsbereichen (§ 17 Abs. 1 KrWG),    
  • Wahrnehmung der Planungsverantwortung durch Abfallwirtschaftspläne und Abfallvermeidungsprogramme (§§ 30 – 33 KrWG),    
  • Voraussetzungen der Planfeststellung von Deponien (§ 43 KrWG),    
  • Überwachungs- / Register- und Nachweispflichten (§§ 47 ff. KrWG)    

den das Umweltrecht wie das Nachhaltigkeitsprinzip gleichermaßen konstituierenden Prinzipien der Vorsorge, der Inanspruchnahme des Verursachers wie der Kooperation der Pflichtensubjekte zu dienen bestimmt und geeignet sind, wenngleich das Nachhaltigkeitsgebot als rechtssatzförmiger Grundsatz der Schonung und sparsamen Verwendung nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen in weitaus geringerem Maße etabliert und damit fortentwicklungsfähig ist (so zutreffend Rehbinder, Nachhaltigkeit als Prinzip des Umweltrechts: Konzeptionelle Fragen, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 721 ff., S. 727).

3.6    Implementation abfallwirtschaftlicher Vorgaben in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsregime

Vorsorgeprinzip wie Nachhaltigkeitgrundsatz gleichermaßen geschuldet sind die im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsregime für Anlagen – vornehmlich im Hinblick auf Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen i. S. v. § 3 Abs. 5 Nr. 1 BimschG wie bzgl. Betriebsbereichen i. S. v. § 3 Abs. 5a BImschG – geltenden zentralen Maßgaben des Abfallwirtschaftsrechts:

  • Die materiell-rechtlichen Anforderungen für die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung als gebundene Kontrollerlaubnis bestimmen sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nrn. 1 – 4, Abs. 3 BImschG, umfassen also den Schutz vor wie die Abwehr von schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abse. 1 und 2 BImschG), das sog. – nach h. M. immer noch nicht drittschützende – Vorsorgegebot gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImschG durch dem Stande der Technik entsprechende Maßnahmen (§ 3 Abs. 6 BImschG), die Beachtung der Trias-Vermeidung / Verwertung / Beseitigung von Abfällen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImschG wie das Gebot effizienter Energieverwendung i. S. v. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImschG, schließlich die insbesondere nach einer Betriebseinstellung relevanten Nachsorgepflichten i. S. v. § 5 Abs. 3 Nrn. 1 – 3 BImschG (vgl. hierzu Hofmann-Hoeppel, Immissionsschutzrecht, in: Eiding / Hofmann-Hoeppel (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2013, § 45, Rzn. 64 ff.);   
  • über § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImschG treten als weitere materiell-rechtliche Genehmigungsvoraussetzungen hinzu die Maßgaben des KrW-/AbfG (mit Ausnahme der §§ 31 – 36), des Bundesbodenschutzgesetzes i. V. m. der Bundesbodenschutzverordnung, des WHG und des Landeswasserrechts, des Bundesnaturschutzgesetzes und der Landesnaturschutzgesetze sowie des Bauplanungsrechts.   

Jenseits der anlagenbezogenen Anforderungen sind unter der Rücksicht des Nachhaltigkeitsgebots wie der Staatszielbestimmung nach Art. 20a GG von Relevanz die – vornehmlich auf die Umsetzung von Art. 5 der Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft in Europa vom 21.05.2008 (ABl. L 152/1) zurückzuführenden – Maßgaben der §§ 44 ff. BImschG über die Durchführung regelmäßiger Untersuchungen zur Überwachung der Luftqualität nach den Anforderungen von Rechtsverordnungen nach § 48a Abs. 1, Abs. 1a BImschG – der Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen vom 02.08.2010 (BGBl I, S. 1065) sowie über die Aufstellung von Emissionskatastern als räumlich und zeitlich gegliederte Aufstellung von luftverunreinigenden Emissionen, d.h. deren Quellen wie von Art und Umfang zur Erfüllung von Art. 7 der Richtlinie 2001/81 des Europäischen Parlaments und des Rates über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe vom 23.10.2001 (ABl 2001 L 309/22) in der Fassung der Verordnung Nr. 219/2009/EG vom 11.03.2009 (ABl 2009 L 87/109), Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 96/61 i. V. m. der Entscheidung 2000/479 über das europäische Schadstoffemissionsregister sowie Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 auf der Grundlage der gem. § 27 BImschG abgegebenen Emissionserklärungen sowie der Ergebnisse behördlich angeordneter Messungen nach §§ 26, 28 und 29 BImschG bzw. eigener behördlicher Messungen gem. § 52 Abs. 1 Satz 2 BImschG.

Die – wie die Lärmminderungsplanung gem. §§ 47a ff. BImschG (vgl. Hofmann-Hoeppel, Immissionsschutzrecht, in: Eiding / Hofmann-Hoeppel (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2013, § 45, Rzn. 436 ff.) – dem gebietsbezogenen bzw. planerischen Immissionsschutz dienende Luftreinhalteplanung gem. § 47 BImschG zielt mit ihrer Regelung zur Sanierung besonders belasteter Gebiete auf die Sicherung von Immissionsgrenz- wie von Zielwerten ab, die in einer Rechtsverordnung nach § 48a Abs. 1 BImschG festgelegt wurden, resultierend wiederum aus europarechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu Hofmann-Hoeppel, Immissionsschutzrecht, in: Eiding / Hofmann-Hoeppel (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2013, § 45, Rzn. 421 ff.).

3.7    Rechtstatsächlicher Befund versus normative Vorgaben

In eigenartigem Kontrast zu dem durch die Maßgaben der unterschiedlichen Spezialgebiete des Umweltrechts repräsentierten konsistenten System zur Durchsetzung und Sicherung von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit stehen immer wieder bekannt werdende, einer jahrzehntelangen „Tradition“ entsprechende „Umweltskandale“, die in der Regel von nicht unerheblicher krimineller Energie der Akteure wie von – dieser Energie korrespondierenden – individuellen Gewinnmargen zeugen und von denen – in beliebiger Weise und daher nicht repräsentativ – folgende Vorfälle nachstehend wiedergegeben werden sollen:

  • „Vergrabung“ von ca. 200.000 t MVA-Aschen, oberflächige Aufbringung von ca. 140.000 t zur Herstellung eines Gewerbeparks mit festgestellter Grundwasserverunreinigung in Emlichheim und Laar, Landkreis Grafschaft Bentheim (vgl. Neue Osnabrücker Zeitung vom 15.07.2014);   
  • Ablagerung von 900.000 t Abfälle in einer Grube in Vehlitz (Sachsen-Anhalt) (Handelsblatt vom 02.06.2014),   
  • Anklage gegen vier frühere Mitarbeiter eines Unternehmens zum Recycling von mit PCB (polychlorierten Biphenylen) verunreinigten Transformatoren der (inzwischen insolventen) wegen unerlaubten Betreibens einer Abfallentsorgungsanlage, Körperverletzung und unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen in einem besonders schweren Fall (Focus vom 09.05.2012, zeitgeschichtliches Archiv WDR, vom 04.07.2012);
  • Verbringung von mit PFT (perfluorierten Tensiden) belastetem Klärschlamms in den Jahren 2003 – 2006 aus Belgien und Holland in die Bundesrepublik, Verkauf als Dünger nach erfolgter Vermischung mit Kalk und anderen Stoffen durch ein Borchener Unternehmen bei nicht geklärter Verursachung, festgestellte hohe PFT-Werte in den Gewässern Ruhr und Möhne, Sanierungskosten des Kreises Soest von 2,3 Mio. € sowie des Hochsauerlandkreises von 2,5 Mio. € (Die Welt vom 11.04.2013);   
  • Verbrennung gefährlicher Produktionsabfälle, von Klärschlamm und Anlagenfiltern in einer Verbrennungsanlage nach erfolgter Anlieferung über einen Abfallzwischenhändler (Short News vom 06.09.2002).

Insbesondere die Chronologie der Ereignisse im Zusammenhang mit der illegalen Zwischenlagerung wie Verarbeitung PCB-belasteter Transformatoren dokumentiert, dass das bereits im Jahre 1974 gerügte Vollzugsdefizit (vgl. hierzu Mayntz, Vollzugsdefizit im Umweltrecht) jedenfalls partiell nach wie vor gang und gäbe ist:    

  • Unterlassen einer Stilllegungsanordnung gem. § 20 Abs. 1 BImschG (vgl. hierzu: Hofmann-Hoeppel, Immissionsschutzrecht, in: Eiding / Hofmann-Hoeppel (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 2013, § 45, Rzn. 276 ff.) durch die zuständige Behörde ungeachtet der anlässlich einer angemeldeten Betriebsbesichtigung erfolgten Feststellung, wonach wesentliche Teile der Anlage nicht genehmigt betrieben werden (22.09.2008),
  • Veranlassung einer sog. Fegeprobe auf dem Anlagengelände, Feststellung hochgradiger PCB-Belastung nach erfolgter Laborbeprobung (28.04.2010),    
  • Stilllegungsverfügung der zuständigen Bezirksregierung, Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen (20.05.2010),    
  • Veröffentlichung der Laborergebnisse nach Untersuchung von 30 Mitarbeitern mit einer PCB-Belastung von bis zu 25.000-fachem der Durchschnittsbelastung der Bevölkerung (26.06.2010),   
  • Anklageerhebung gegen Mitarbeiter eines Unternehmens zum Recycling von mit PCB (polychlorierten Biphenylen) verunreinigten Transformatoren durch die zuständige Staatsanwaltschaft, Einstellung der Ermittlungen gegen Mitarbeiter der zuständigen Bezirksregierung (24. Juni 2011).   
  • Veröffentlichung des Abschlussberichts der nordrhein-westfälischen Ministerien für Arbeit und Umwelt mit Ankündigung von Konsequenzen, u.a. durch Aufstockung des Personals in der Umwelt- und Lebensmittelüberwachung sowie beim Arbeitsschutz, Einrichtung einer zentralen Hotline für Arbeitnehmer (30.04.2012),
  • Beginn des Verfahrens vor dem zuständigen LG (09.05.2012).   

4.    Ethik in der Abfallwirtschaft - contradictio in obiecto?

Mögen die – gerafften – Darlegungen zur Relevanz von „Ethik“ und „Moral“ unter den Prämissen des republikanischen Verfassungsstaats für Systematik wie Vollzug des Umweltrechts im Allgemeinen, des Abfallwirtschaftsrechts im Besonderen zunächst vornehmlich im Hinblick auf die Frage „absonderlich“ erscheinen, was die Nikomachische Ethik des Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) mit dem Normensystem des 20. / 21. Jahrhunderts zu tun habe, so erweist sich deren Bedeutung angesichts der Erkenntnis, dass Akteure im Vollzug des Umweltrechts nicht nur „Wirtschaftsbürger“ als Bourgeois, sondern auch Staatsbürger als Citoyen sind. Die unter 3.7 – zugegebenermaßen mehr oder weniger „willkürlich“ – dargestellten Ereignisse sind kennzeichnend für die „Neigung“ des Gattungswesens Mensch als Wirtschaftsakteur. Sie können der durch Rebenich im Hinblick auf die Finanzkrise des Jahres 2008 gekennzeichneten Titelzeile „Lieber gewitzt als anständig sein“ (Süddeutsche Zeitung Nr. 266 vom 15. / 16.11.2008, S. 2) subsumiert werden, der die Ereignisse nach 2008 mit einem Zitat aus der Darstellung des Peloponnesischen Krieges durch Thukydides charakterisiert:

„Denn lieber lassen sich die meisten einen gewitzten Halunken nennen als einen anständigen Dummkopf. Des einen schämen sie sich, aber mit dem anderen geben sie an.“

Wer also „lieber gewitzt als anständig“ tätig wird, hat möglicherweise den Beifall der „Zunftgenossen“ für sich, arbeite er auch hart an den oder ggf. jenseits der „Grenzen“ anerkannter Standards moralischer Wertvorstellungen. Eine „verstandesgemäße“ Ethik wird freilich im Zuge der Hinterfragung bereichsspezifischer Moral – erst recht bei Reflexion über „amoralische“ Usancen – zu dem Befund gelangen, dass die gebotene „Formung“ der verstandesmäßigen Tugenden z. T. nur unzureichend gelungen ist, zurückzuführen auch auf kontraproduktive Anreize durch Gesetzgeber, unsachgemäßes Handeln von Amtswaltern und – nach wie vor – nicht hinreichend gelungene Internalisierung externer Effekte (vgl. hierzu bereits Frey, Umweltökonomie, 1972, S. 111 f.).

Ein Letztes: Ungeachtet der – banalen – Erkenntnis, wonach „alles mit allem“ zusammenhänge, wird man sich der Erkenntnis „permanenter Formung“ der verstandesmäßigen Tugenden des homo oeconomicus – für den gesamten wirtschaftlichen Aktionsraum wie für den Bereich der Abfallwirtschaft und des Umweltrechts – angesichts der Tatsache nicht verschließen können, dass der Naturgeschichte „schreibende“ Mensch als Gattung auf bestem – sprich: schlechtestem – Wege ist, das Anthropozän seinem beschleunigten Ende zuzuführen (vgl. Kolbert, Das 6. Sterben – wie der Mensch Naturgeschichte schreibt, 2015; Leakey / Lewin, Die 6. Auslöschung, 1995).

 

Veröffentlichungen (in Auswahl)

Verwaltungsrecht. Schriftsatzmuster und Erläuterungen / materielles Recht / Verfahrensrecht, 2013 (Herausgeber mit Prof. Dr. Lutz Eiding); Autor u.a. der §§ 45 (Immissionsschutzrecht, S. 1565 – 1782), 47 (Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 1812 – 1889) / Entscheidungssammlung zum Kommunalrecht (Stand: 109. Ergänzungslieferung 2015) / Bekämpfung organisierter Kriminalität und des internationalen Terrorismus im Lichte der datenschutzrechtlichen Rechtsprechung des BVerfG seit dem Volkszählungs-Urteil 1983, in: Subsidiarität – Sicherheit – Solidarität, Festgabe für Franz-Ludwig Knemeyer (= Würzburger Rechtswissenschaftliche Schriften, Band 84), 2012, S. 329 – 363 / Das Kommunalunternehmen, in: Kommunalpraxis Spezial, Nr. 2/2008, S. 61 – 68 / Statistik als Wille und Vorstellung. Zu den rechtstatsächlichen Grundlagen der Verlängerung des Modellversuchs zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens im Regierungsbezirk Mittelfranken, BayVBl 2007, S. 73 ff. / Herstellungsbeitragspflicht für Entwässerungseinrichtungen im Spannungsfeld von zentralen und dezentralen Lösungen, in: Kommunalpraxis Spezial Nr. 1/2005, S. 27 – 34 / Hilfesuchende im Spannungsfeld zwischen eigenen Mitwirkungspflichten, behördlicher Ermittlung und informationeller Selbstbestimmung, in: Spielmann (Hrsg.), Informationelle Selbstbestimmung behinderter Menschen, 2002, S. 38 ff. / Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – Rechtstradition und Rechtspraxis eines plebiszitären Elements unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Bayern, BayVBl 2000, S. 577 ff. und 617 ff. (mit Weible) / Das Verhältnis des § 5 Abs. 1 Nr. BImschG zu den §§ 19, 20 KrW-/AbfG, ZUR, Sonderheft 2000, S. 92 – 99 / Bestandsaufnahme der landesrechtlichen Regelungen zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, in: 6. Kölner Abfalltage, Vollzug des Abfallrechts, 1998, S. 17 ff.